Briefe an Freunde, Aktuelles aus Novosibirsk (Norbert Schott)

Olympische Winterspiele in Russland - warum auch nicht?

06. Februar 2014

Was liest, hört und sieht man dieser Tage nicht alles Schlechtes über Sotschi.

Hilfe, eine Winterolympiade in einer subtropischen Klimazone! Das ist ja fast so absurd, wie eine Winterolympiade in Zürich - obwohl doch jeder weiß, dass Zürich an einem See liegt! Wie jetzt? In der Nähe von Zürich ist ein Gebirge, und dort gibt es sogar Berge mit bis zu 4810 Meter Höhe? Ja ja, Zürich liegt in der Nähe der Alpen und bis zum Mont Blanc sind es 214 Kilometer Luftlinie.

Sotschi liegt in der Nähe des Kaukasus. Dort gibt es Berge bis zu 5642 Meter Höhe. Ja ja, vom Olympiastadion Sotschi bis zum Elbrus - übrigens der höchste Berg Europas - sind es auch nur 202 Kilometer.

2003 bin ich mit dem Skilift in Krasnaja Poljana - dem Austragungsort der alpinen Wettbewerbe - auf die Berge des Kaukasus gefahren. Es lag Schnee ... im Mai! Allen Zweiflern sei also versichert, es wäre ein Wunder, wenn bei der diesjährigen Winterolympiade plötzlich kein Schnee vorhanden wäre.

Die ganzen Wintersportanlagen - wer soll die denn nach Olympia benutzen?! Vielleicht die 143 Millionen Russen, 45 Millionen Ukrainer und 9 Millionen Weißrussen, die jetzt noch in die 2300 Kilometer entfernte Schweiz fliegen, anstatt im 1400 Kilometer entfernten Kaukasus die Ski und Snowboards unter die Füße zu schnallen? Wenn es in den Alpen für nicht einmal 100 Millionen Deutsche, Schweizer und Österreicher bestimmt zwei Dutzend Skigebiete gibt - so sollte es doch möglich sein, mit der doppelten Zahl russischsprachiger Menschen das erste vernünftige Skigebiet im europäischen Teil Russland auszulasten! (Sibirien hat schon eins.)

Ja aber die Bobbahn - jetzt wird da Geld für eine Bobbahn verschwendet, die später kein Mensch braucht?! Ich empfehle einen Blick in die Wikipedia, Artikel "Liste der Rennrodel- und Bobbahnen". Für Deutschland sind dort vier international genutzte Sportstätten genannt. In Sotschi wurde für die Olympiade die zweite russische Rodelbahn errichtet.

Na dann ist doch wenigstens der Eispalast überdimensioniert, oder? Falsch! Wo, wenn nicht in Sotschi wäre eine ganzjährige Nutzung einer solchen Anlage nach einer Winterolympiade denkbar? Sotschi ist immer attraktiv - im Winter als Skiparadies, im Sommer für Strandurlaub. Konzerte, Festivals - kein anderer Ferienort der Welt hat über das ganze Jahr die Möglichkeit, eine solche Halle zu füllen. Sotschi hat das Potential dazu.

Aber die Menschen, die umgesiedelt wurden! Zugegeben, das trübt das Bild. Aber bei jedem Neubau muss Altes weichen - das war bei der Olympiade in London nicht anders. Dort, wo nun das Olympiastadion steht, habe ich vor elf Jahren übernachtet - in einer wild zusammengeschusterten Ferienhütte am Rand von Sotschi. Baustil - Fehlanzeige. Brandschutz - nie gehört. Ferienort - wohl kaum. Ob nun mit oder ohne Olympia - wenn Russlands Schwarzmeerküste wieder zum Reiseziel werden möchte, dann sind solche Modernisierungen leider unumgänglich.

Und die Regimekritiker, die Putin verurteilen lassen hat? Tja, da hat Putin mit Europa ein wenig "gelenkte Demokratie" gespielt - wenn die Proteste zu groß werden, lassen wir dort, wo es nicht weh tut, ein wenig die Luft heraus. Und es war ja nun wirklich egal, ob der Chodorkowski und die Pussy Riots im Sommer oder schon ein paar Monate früher frei kommen. Aber wogegen will Europa nun noch protestieren? Richtig, gegen ...
... die Schwulengesetze! Also, aller Spaß beiseite. Es ist in Russland nicht verboten, offen schwul zu sein. Jeder Sportler darf mitmachen, auch mit gleichgeschlechtlichem Partner anreisen, und eine schwuler Sportler darf auch ganz offiziell mit seinem Mann gemeinsam übernachten. Er darf sich natürlich die Fingernägel als Regenbogen lackieren.

Aber er darf nicht mit einem Plakat vor dem Stadion herumrennen: "Schwul ist cool!" Das ist verboten, genauso wie es in Deutschland verboten ist, als ultraorthodoxer Christ seine Kinder nicht in die Schule zu schicken. Das ist übrigens in Russland erlaubt.

Ich habe einige schwule Freunde, und bin sicher nicht homophob. Aber ich muss es akzeptieren, dass die russische Bevölkerung leider voll und ganz hinter dem Gesetz ihres Parlaments (und nicht ihres Präsidenten) steht, wonach Werbung für nichttraditionelle sexuelle Beziehungen nicht erlaubt ist. Das ist die Souveränität eines Volkes, solche Regeln zu definieren - so lange sie niemandem schaden. Keine Werbung für seinen Lebensstil zu machen, ist in meinen Augen kein Schaden - so lange man selbst leben darf, wie man will.

Und wenn nun von außen gefordert wird, deutsche Sportler müssten dagegen ein Zeichen setzen - Entschuldigung, das ist dumm. Denn es bekräftigt genau jene Menschen in Russland, die überzeugt sind, dass Homosexualität eine vom Westen eingeschleuste Seuche ist, um Russland mit geringeren Geburtenzahlen zu schwächen. Und das hilft den Schwulen und Lesben in Russland überhaupt nicht - sondern macht die Situation für sie nur viel brenzliger.

Wirklich interessant, dass plötzlich sogar Spiegel-Online bemerkt hat, dass dies Homosexuelle hier ähnlich sehen. Im Reisetagebuch nach Sotschi wird ein Transvestit zitiert: "Putin ist einfach ein schlauer Fuchs. Der Präsident weiß, dass es Russland zerreißen wird, wenn er Gay-Paraden erlauben würde."

Interessanterweise ist für die Olympia-Eröffnungsfeier ein ganz spezieller Programmpunkt angekündigt - t.A.T.u., das russische, vorgeblich lesbische Pop-Duo aus dem letzten Jahrzehnt.

Die Spiele mögen beginnen!

P.S.: Natürlich, keine Frage - Umweltzerstörung und Korruption in der Bauphase sind echte Probleme dieser Olympischen Spiele. Ich habe bewusst jene Beispiele herausgegriffen, die in den letzten Wochen aus meiner Sicht sehr verdreht dargestellt wurden.

Die oben zitierten Quellen:

Wikipedia: Liste der Rennrodel- und Bobbahnen
spiegel.de: Rostow am Don - Medaillenjagd im Stripclub
Meine Erlebnisse in Sotschi 2003