Briefe an Freunde, Aktuelles aus Novosibirsk (Norbert Schott)

Wo bleiben die E-Mails aus Russland?

11. Juli 2017

Seit nun mehr zwei Jahren keine E-Mails mehr aus Russland. Es ist schlicht zu schwierig, einen kühlen Kopf zu bewahren. Es ist schwierig, Russland zu erklären, ohne in irgendeiner Schublade zu landen. Ich könnte wieder von Bürokratie erzählen oder von Fahrstühlen wie in den guten alten Zeiten. Aber seit drei-vier Jahren bewegen mich andere Themen und mir fehlt der Elan für Belanglosigkeiten.

Aber wie erklärt man Russlands Politik so neutral, dass man nicht sofort vom rechten Rand bejubelt und vom linken Rand verteufelt wird? Natürlich stehe ich zwischen den Stühlen, bin im Inneren westeuropäisch sozialisiert, aber sehe von Außen tagtäglich, wie ein extrem stolzes Volkes tickt.

Und dieses Volk fühlt sich nicht verstanden. Nicht verstanden, dass sie natürlich wirklich freiwillig den Kerl wählen, der schon seit 17 Jahren "Make Russia great again" praktiziert. Und zwar aus russischer Sicht auch noch extrem erfolgreich. Nicht wegen der Krim, wo man sich zwar als Bewahrer von Ruhe und Ordnung sieht, aber ansonsten eher die Rubel versickern. Sondern weil anders als vor 25 Jahren Löhne und Renten gezahlt werden, die Leute ein Auto haben, sich einen Urlaub in der Türkei leisten können, vielleicht eine neue Eigentumswohnung. Putin blamiert sich nicht besoffen vor Merkel wie Jelzin bei Kohl. Und er zelebriert kein Leben in Saus und Braus, wie manche Oligarchen, die sich zwischenzeitlich als Bewahrer der Demokratie präsentierten.

Absurd? Nicht ganz. Keiner wird behaupten, dass Angela Merkel aufgrund ihrer politischen Linie innerhalb der CDU beliebt ist. Und? Vergangenes Jahr wurde sie mit 89,5 Prozent als Bundesvorsitzende bestätigt. Dagegen sehen die 64,3 Prozent bei der Wahl Putins zum Präsidenten eher kläglich aus. Auch seine Politik ist im Land nicht umumstritten - aber er wird von allen Optionen als die beste wahrgenommen.

Demokratie wird - auch wenn uns das mit unserer westeuropäischen Erfahrung nicht logisch erscheint - in Russland als schlechte Erfahrung angesehen. Wenn eine Interessengruppe mehr als zwei Demonstrationen in Folge auf die Beine stellt, fragt man schon skeptisch, wer da dahinter steckt. Amerikanische Agenten? Europäische NGOs? Natürlich werden solche Gedanken über Massenmedien angeregt. Aber ohne die schlechten Erfahrungen der wilden 1990er wäre dies nicht möglich. Damals glaubten viele Russen den Wahlversprechen der selbsternannten Demokraten und mussten in der Folge die Aufteilung der einst stolze Volkswirtschaft unter wenigen Oligarchen mit ansehen. Dann doch lieber Zar Putin, welcher mit Gazprom die Rohstoffe wieder verstaatlicht hat und so Russland nahezu entschulden konnte.

Und nun aber bitte nicht glauben, dass ich nächstes Jahr Putin wählen werde, auch wenn ich das inzwischen darf. Nein, ganz bestimmt nicht. Weder halte ich die Außenpolitik für klug. Noch finde ich es gut, wenn ein Land über so lange Zeit von ein- und derselben Person geleitet wird. Es fehlt jegliche Innovation, rund um die Macht sammeln sich nur noch hörige Handlanger und Opportunisten. Es wird immer mehr inszeniert und popularisiert, wie in der gesamten Weltpolitik.

Nun ist es also doch eine versuchte Erklärung geworden. Ohne Fahrstühle.