Briefe an Freunde, Moskau (Norbert Schott)
Murmansk und Omsk
Hallo liebe Freunde,
Ich bin also in Omsk gelandet. Im Moment läuft das Zurechtfinden etwas schleppend, ein paar private Probleme in Moskau bringen mich ziemlich durcheinander.
Ich werde mich hier ein wenig mit "Verkehrsökologie in Russland" beschäftigen - ebenso wie danach in Moskau. Das ganze hat mit unserer Sichtweise recht wenig zu tun, im Moment weiß ich noch nichteinmal wo ich anpacken soll.
Auf meiner Etage im Wohnheim wohnen nur Nordkoreaner. Zwanzig an der Zahl - allesamt fleißig wie die Bienchen, ideologisch getrimmt und den Freuden des Lebens gänzlich abgeneigt. Tagsüber wird gelernt, um 19 Uhr singt man im Chor Kampflieder - dann flieht selbst die Дежурная (Etagenmama) -, danach wird wieder gelernt. Angeblich wurde die Gruppe einmal gemeinsam beim Eishockey gesehen - das waren alle Aktivitäten seit September.
Die Russen sind offen wie immer - am Anfang schauen sie skeptisch (Ausländer in Omsk?), dann ist man innerhalb einer Stunde eingemeindet. Die Jungs sind in der Disco erstaunlich offen und tanzen recht viel - etwas überraschend für Russland. Gleich am zweiten Discoabend wollten mich jedoch ein paar Kerle wegen meines etwas ungewöhnlichen Aussehens verprügeln - das beherzte eingreifen einer Freundin verhinderte dies zum Glück.
Die Preise sind im Gegensatz zu Moskau verwunderlich. Gerade war ich in der Mensa: ein Saft, ein Tee, ein Essen für weniger als 50 Cent! Dabei kostete der Saft knapp die Hälfte. Und in der Disco löhnt man für einen Orangensaft mit Wodka weniger als einen Euro - dafür bekomme ich in Moskau allenfalls den saft, falls es ein billiger Club ist.
Der letzte Monat in Moskau war natürlich auch interessant. Neben dem Stress rund um meine Verlängerung - es sieht im Moment recht gut aus -, war ich wieder in den weiten des Landes unterwegs. Nach Pskow und Novgorod mit Olia ging es noch mit Siegfried und Dushyan (Sri Lanka) nach Murmansk - ein echtes Erlebnis.
Die Stadt wurde erst vor kurzem für Besucher geöffnet. Aber irgendwie herrschte noch immer die alte Mentalität. Miliz und FSB (Geheimdienst) empfingen uns gleich am Bahnhof. Reisegrund, Vorhaben, persönliche Daten - alles wurde irgendwo festgehalten. Sichtete man uns irgendwo einzeln, wurden sofort wieder die Papiere kontrolliert, dazu kam die Frage, wo denn die anderen zwei seien. Sicher wusste stets irgendwer, wo wir uns aufhielten.
Natürlich gerät man auch ab und zu an schwarze Schafe. Abends wollte die Miliz von Siegfried und Dushyan für eine halbe Flasche Bier Geld sehen. Zwar ist es verboten, besoffen über die Straße zu rennen - aber sie waren weder besoffen, noch auf der Straße. Ich erklärte dem Milizionär, dass wir gern in der Ausnüchterungszelle übernachten - immerhin sei das auch billiger als das Hotel - und morgens telefonisch die Botschaft über die Definition von "Besoffen" befragen können. Das wirkte - von uns war ganz offensichtlich kein Geld zu holen.
Jeder Ausflug ins Umland ist in Murmansk de facto verboten, Umschauen im Hafen sowieso. Immerhin kann man meist irgendwo anrufen und eine Genehmigung bekommen. Im Hafen empfahl uns ein freundlicher Milizionär die Fähre auf die andere Hafenseite. Und für unseren Ausflug an die norwegische Grenze bekamen wir ebenso eine telefonische Genehmigung.
Dort befindet sich Nikel - laut Reiseführer der hässlichste Ort der Welt, Nachbarschaft der Hölle. Die Vegatation soll im Umkreis von 50 Kilometern abgestorben sein, die zwei Nickelfabriken blasen seit Jahren Schwermetalle in die Luft. Etwas übertrieben ist das natürlich schon - bis 20 Kilometer vor Nikel sieht man noch vereinzelte Bäumchen. Und der Schnee macht sowieso alles erträglich - ist er jedoch einmal weggeweht, ahnt man, in welch schwarzer Wüste man sich eigentlich befindet.
Bei minus 32 Grad und bitterem Wind standen wir also am Ende der Welt - die Menschen machten große Augen, als wir fragten: "Wo kann man hier etwas sehen?" "Macht es, wie Jeder hier. Trinkt eine Flasche Wodka, dann seht ihr unsere Sehenswürdigkeiten!"
Aber je kälter die Umgebung, desto wärmer die Menschen. Nach einem Besuch in der Kirche waren wir plötzlich in der Sozialstation (norwegisches Projekt) eingeladen - fünf Stunden. Von dort ging es in die Familie einer Köchin - vier Stunden. Nach vielem leckern Essen und endlosen Unterhaltungen mit der Babuschka und den kleinen Kindern - sechs Frauen und ein Mann gemeinsam unter einem Dach - ging es dann mit Mama und Papa in die Dorfdisco, die älteste Tochter war schon dort.
Selten haben wir so viel Herzlichkeit an einem Fleck gesehen. Da fährt man also an den hässlichsten Punkt der Welt und erwartet die Hölle auf Erden - und erlebt statt dessen die gastfreundlichsten Menschen der Erde. Russland.
In Murmansk ging das dann so weiter, in der Banja bekamen wir noch drei Einladungen, wiederzukommen. Und das lässt sich nun wirklich nicht mehr vermeiden, denn eine Sehenswürdigkeit ist noch offen geblieben: der Hafen der Atom-U-Boot-Flotte. Dreist, wie wir waren, haben wir versucht, auch dorthin zu kommen - an der üblichen Grenzstation war allerdings diesmal definitiv Schluss. Auch das prophylaktisch rausgesuchte ach-so-interessante Museum half nicht weiter - ohne Zettel aus dem Rathaus lief nix. Und am Sonntag war an einen solchen Zettel nicht zu denken.