Briefe an Freunde, Moskau (Norbert Schott)
Traditionen und Universitätsgeburtstag
Die Woche war ziemlich anstrengend. Der Freundeskreis wird immer größer, es gibt kaum noch einen Abend, an dem man nicht irgendwo eingeladen ist. Einladungen von männlichen Wohnheimbewohnern muss man sowieso konsequent aus dem Weg gehen - die Jungs wollen einen prinzipiell mit Wodka ("old Russian tradition") abfüllen. Aber wer kann und will schon den Einladungen der hübschen Russischen Mädels aus dem Weg gehen, zumal diese keinen Wodka mögen?! Jens und Florian sind längst verkuppelt - sie mussten sich natürlich auch wirklich beeilen, denn heute ist für sie Abreisetag.
Letzte Woche war auch noch 106-jähriges Jubiläum der Universität. Selbst die unwichtigste Zahl wird hier gefeiert - Ballettveranstaltung, Erstsemester-Begrüßung und Kulturabend für Dozenten und andere wichtige Menschen. Letzterer war wirklich orginell. Zuerst sprachen fünf dicke Männer. In Deutschland würde man sie "Vertreter der Industrie" nennen, hier deute ich es eher als die "alten Seilschaften". Ein Vertreter vom Ministerium, der Chef der Moskauer Metro, der Oberste der Moskauer Eisenbahndirektion, der Rektor und noch ein Bahnhofschef erläuterten nacheinander die hohe Bedeutung, den Weltruf und die einzigartige Ausbildungsqualität der Hochschule. Dann verteilte der Vertreter des Ministeriums Orden an Dozenten - den dicksten bekam der Rektor. Dann verteilte der Rektor Orden an die anwesenden Gäste - den schönsten erhielt der Vertreter des Ministeriums. Mit Bruderkuss. Es folgten neun Opernlieder, Klatschen, Bravo, Blümchen. Das Ende war der Kirche gewidmet. Auch der Patriarch (!!!) der Russisch orthodoxen Kirche war anwesend und wusste vom Weltruf der Uni zu berichten. Freundlicher weise hatte er seinen Chor mitgebracht - ein wirklich tolles Ensemble, was man sonst nur im Ausland zu hören bekommt.
Unsere Küche ist immer noch nicht fertig. Nachdem der eigentliche Termin trotz Nachschichten nicht eingehalten werden konnte, kam die Arbeit zum Erliegen. In der letzten Woche wurde nur ein Arbeiter gesichtet. Er hat die Klinke angebracht - irgendwann abends am Wochenende. Die Deckenverkleidung fehlt noch immer. Fürs Erste kümmert man sich nun um bislang unsanierten Küchen. Im ganzen Haus gibt es noch eine Küche, die aber keiner nutzen darf.
Dafür gingen heute fünf von sechs Fahrstühlen! Einer hängt unten fest und ignoriert alle Wünsche. Und meine Lampe geht überhaupt nicht mehr aus. Ich muss den Stecker nun immer aus der Steckdose ziehen.
Ich habe wieder einmal einen neuen Ausweis bekommen - eine schicke Magnetkarte (mit Foto natürlich). Wunder, wunder ... sie gilt am Eingang der Metro sowie an den Pförtnerhäuschen der Uni.
Von Samstag auf Sonntag war ich mit zwei Dresdner Freunden in Wladimir, einer alten Russischen Stadt. Vom früheren Charme war nicht allzuviel übrig. Aber dennoch war die Herbststimmung in den Parks und auf der Zugfahrt - übrigens ein Euro für 200 kilometer im Vorortzug - sehr schön. Soetwas fehlt in Moskau total. Das Hotel in Wladimir hatte einen sehr schönen Aushang, ich hänge den Text mal am Ende an.
Nächste Woche beginnt das Studium. Ich werde mir mal alle Vorlesungen des einen Jahrganges anhören und mal schauen, ob es interessant ist. Wenn nicht, probiere ich einen anderen Jahrgang oder wechsel doch noch das Fach. [der hoteltext, die umlaute und sz waren richtig geschrieben]
Werte Gäste!
Beachten Sie bitte die Brandschutzregeln:
Benutzen Sie in Ihrem Hotelzimmer kei-
ne Elektrogeräte wie Kaffeekocher, Plät-
teisen, Tauchsieder.
Verlassen Sie das Zimmer, vergessen
Sie nicht, Fernseher, Radiogerät, Konditio-
när und Beleuchtungskörper auszuschal-
ten.
Wir machen Sie darauf aufmerksam,
dass es äußerst gefährlich ist, Lampenschir-
me und Tischlampen mit brennbarem Ma-
tarial zu verdecken.
Wir hoffen, dass Sie im Bett nicht rau-
chen und keine noch glühenden Zigaretten
liegenlassen. Das ist sehr gafährlich!
Im Lift ist es nicht gestattet zu rauchen
oder eine noch brennende Zigarette mit-
zunehmen.
Werfen Sie keine Zigaretten in den Pa-
pierkorb, sondern nur in den Aschenbecher.
Es ist unzulässig ins Hotelzimmer leicht
brennbare Materialen mitzubringen und
dort aufzubewahren.
Wir wünschen Ihnen angenehme Erho-
lung!
Die Hotelverwaltung.