Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)
Alkohol
Ein spannender Sommer und ein spannender Herbst sind in Russland vergangen. Ich habe eine neue Arbeitsstelle. Und wir sind umgezogen - wohnen nun in unserer eigenen Wohnung. Im 13. Stock, leider gibt es aber keine neuen Fahrstuhlgeschichten. Denn der Fahrstuhl geht noch nicht. Ein andermal mehr dazu ...
Während im Ausland seit Wochen das Verschwinden diverser Persönlichkeiten das Bild Russlands bestimmte, war für die Russen der Alkoholmangel das Hauptproblem. Dazu hatte ich im Sommer einen Artikel geschrieben, den ich Euch (leicht aktualisiert) nicht vorenthalten möchte:
Russland ist trockengelegt
Ausländischer Wein verboten oder zeitweise eingezogen / politischer Hintergrund vermutet
Russische Genießer hatten es dieses Jahr schwer. Edles Mineralwasser aus Georgen wurde verboten, die beliebten süßen Rotweine aus Moldawien und Georgien dürfen nicht mehr importiert werden und alle anderen ausländischen Alkoholika - ob französischer Cognac oder südafrikanischer Wein - wurden von den Moskauer Steuerbehörden zur Überprüfung eingezogen.
Alles begann am 27. März. Nach einer Anzeige des Moskauer Amtsarztes Gennadi Onischtschenko wurde die Einfuhr von Wein aus Moldawien und Georgien untersagt - angeblich wegen Verseuchung mit Pestiziden. Die Moldawier und Georgier reagierten erwartungsgemäß empört. Roman Gasarijan, Verkäufer in einem Weingeschäft im georgischen Tiflis, argumentiert: "Die Russen fälschen zum Teil den georgischen Wein samt Etiketten und werfen uns nun mangelnde Qualität vor. Unsere Weine sind gut und die Welt weiß das. Aber letztlich ist es ein politisches Problem."
Diese Meinung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Im Gegensatz zu vielen anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, stehen die georgische und die moldawische Regierung Russland kritisch gegenüber. In beiden Ländern gibt es abtrünnige Republiken. Transnistrien in Moldawien wird von Moskau gefördert, Südossetien und Abchasien in Georgien suchen gar den Anschluss an die russische Föderation.
Nachdem Russland im Mai auch noch den zweiten Exportschlager Georgiens - das Mineralwasser Borschomi - verbieten lies und demonstrativ 10.000 Liter in die Kanalisation kippen lies, drohte der georgische Präsident Michail Saakaschwili mit dem Austritt aus der GUS. Geholfen hat diese Drohung jedoch nicht, im Gegenteil. In Russland gibt seit Juni ein perfekt nachgemachtes "Mineralwasser aus dem Borschomi-Tal".
Für die zwei betroffenen Länder ist der Wasser- und Weinboykott eine wirtschaftliche Katastrophe: "Russland ist bisher der größte Abnehmer unseres Weines gewesen", erläutert der Weinverkäufer Roman Gasarijan. Das Wort "Weinkrieg" machte die Runde.
Auch die ansonsten gutgläubigen Russen stehen der Entscheidung ihrer Behörden kritisch gegenüber. Tatjana, Kundenberaterin in einer Nowosibirsker Weinboutique, möchte ihren vollen Namen nicht nennen, bestätigt aber: "Schon unsere Großeltern und Eltern haben diese Weine problemlos getrunken." Warum sie nun verboten sind, wisse nur die Regierung. "Wer will, findet immer Rückstände von Pestiziden im Wein. Kein Land der Welt produziert Wein gänzlich ohne Pflanzenschutzmittel."
Auch Tatjana glaubt, dass georgische Weine in Russland vielfach gefälscht wurden: "In Russland darf alles als 'Wein' verkauft werden, was aus 'Traubenmaterial' hergestellt wird" - damit mache man Fälschungen leicht, erklärt sie. So wurde der bekannte georgische "Kindsmarauli", der im Fachgeschäft umgerechnet 20 Euro kostet, in Supermärkten oft für weniger als die Hälfte angeboten.
Doch aus den Geschäften und Supermärkten zwischen Moskau und Wladiwostok verschwanden nicht nur die georgischen und moldawischen Weine. Wer im Sommer Alkohol suchte, fand wochenlang nur noch Wodka und Bier in den Regalen. Ob Spanischer Wein, französischer Cognac oder schottischer Whisky - sämtlicher ausländischer Alkohol muss plötzlich mit neuen Steuermarken versehen werden. Faktisch müssen damit Millionen von Flaschen nach Moskau gekarrt werden, Russland ist zwischenzeitlich trockengelegt.
Auch hier bleibt der Hintergrund unklar. Tatjana, die Weinkennerin, ist ratlos: "Ich weiß einfach nicht, wer daran wieder verdient." Ihr Laden war mehrere Wochen wie leergefegt, nur auf wenigen Brettern der langen Regalreihen standen einzelne Flaschen. Der Grund: Erst nachdem alle Flaschen eingezogen wurden, bemerkte man in Moskau, dass die Software für die neuen Steuermarken noch längst nicht funktionierte. Zudem gab es einfach nicht genug Beamte, um die Flaschen mit Marken zu bestücken. Tatjana: "Im Juli wurden erst fünf Prozent der Flaschen beklebt. Wahrscheinlich werden wir frühestens Ende des Jahres wieder unser volles Sortiment anbieten können."
Das volle Sortiment? Eher unwahrscheinlich! Denn mit Moldawien und Georgien wurde noch immer keine Lösung gefunden. Auf einer Pressekonferenz nach bilateralen Gesprächen zwischen Russland und Georgien, betonte der russische Präsident Wladimir Putin im Juli, dass die russische Förderation an der Lieferung qualitativ guten Weins aus Georgien interessiert ist. Problematisch seien aber weiterhin Fälschungen. Erst wenn dieses Problem gelöst werde, "wird es keine weiteren Fragen zur Öffnung des russischen Marktes für diese Produkte geben", so Putin. Danach sieht es aber nach einem Herbst wilder diplomatischer Verwirrungen zwischen den beiden Ländern nicht mehr aus!
Das klingt nicht unbedingt nach einem schnellen Kompromiss. So müssen die Russen, nachdem endlich fast alle Steuermarken geklebt wurden, wieder auf billigen Ersatz aus Europa zurückgreifen. Durch den "Weinkrieg" verkauft sich alles, was Rebensaft nur ähnelt - selbst ein "Verschnitt trockener Weine aus verschiedenen EU-Ländern" für zehn Euro.
Und dann wundert man sich, warum im Herbst 5000 Russen mit mysteriösen Alkoholvergiftungen in die Krankenhäuser eingeliefert wurden!