Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)
Einsame Diplomaten, Ingenieur-Jäger und Hannes
Diesen Sommer war wieder einmal Zeit für einen großen Schichtwechsel - nahezu die gesamte deutsche Gemeinschaft in Novosibirsk ist abgereist. Und zwar nicht nur in den wohlverdienten Heimaturlaub, sondern für immer. Interessanterweise geschieht dies in Wellenbewegungen, etwa alle vier Jahre haben plötzlich alle die Nase voll vom Gastland. Von den 50 Deutschen vor Ort haben weit über 20 Dauergäste die Segel gestrichen, weitere 10 waren grundsätzlich nur für ein Jahr hier.
50 Deutsche in Novosibirsk? An sich sind es weitaus mehr, denn zu Stalins Zeiten wurden nahezu alle Wolgadeutschen nach Sibirien oder Kasachstan umgesiedelt. Zu Helmut Kohls Zeiten ging es dann für sehr viele wieder westwärts, über das Auffanglager Friedland nach Deutschland. Dennoch erzählt noch heute jeder zweite Taxifahrer, er habe deutsche Wurzeln oder aber zumindest seine Frau, sein bester Freund oder der Hund habe einen deutschen Großvater. Mit 50 Deutschen meine ich aber deutsche Deutsche - also in Deutschland geborene Gäste. Für eine Stadt mit 1,5 Millionen Einwohnern sind das wirklich nicht viele.
Den größten Teil der Deutschen stellt das Generalkonsulat - 12 Diplomaten, zum Teil mit Familienangehörigen arbeiten zusammen mit etlichen russischen Ortskräften hier. Man betreut den wohl größten Konsularbezirk der Welt – vom Ural bis zum Pazifik. Hauptaufgabe sind natürlich Visa, um den Großvater der Frau, des besten Freundes oder des Hundes zu besuchen. Die große Politik wird natürlich in Moskau gemacht. Früher mussten wenigstens ab und zu noch Horst oder Gerd bei Flügen nach China zum Auftanken in Sibirien zwischenlanden - das neue Flugzeug von Angela und Christian fliegt nun aber direkt. Deswegen sind die deutschen Diplomaten hier eher "einsam" - ohne dutzende Kollegen aus anderen Ländern, die mangels Russlandbriten oder Russlandkongolesen kein Konsulat in Sibirien unterhalten. Und da man als deutscher Diplomat alle vier Jahre den Posten wechselt, lohnt es auch nicht, jedes Mal die Landessprache zu lernen. Und weil das alles so kompliziert ist, dürfen die deutschen Beamten ausnahmweise schon nach drei Jahren aus Sibirien weg. "Schwerer Einsatzort" nennt sich das wohl.
Neben dem Generalkonsulat präsentieren diverse Organisationen die deutsche Kultur in der Stadt: Das Goethe-Institut ist seit 2009 mit zwei Mitarbeitern vor Ort und organisiert vor allem Ausstellungen, Konzerte und Filmwochen. Zwei Goethe-Sprachlernzentren mit je einem Sprachlektor geben Deutschunterricht. Die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen hilft russischen Schulen mit Materialien und zwei Fachlehrern. Die Friedrich-Ebert-Stiftung, derzeit ohne deutschen Deutschen, fördert die Zivilgesellschaft. Die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, ein Deutscher, koordiniert die Kulturarbeit der Russlanddeutschen. Die zwei Deutschen des DAAD locken hochqualifizierte Studenten nach Deutschland, damit sie später die fehlenden deutschen Ingenieure ersetzen oder später als russische Ingenieure deutsche Maschinen kaufen oder später als russische Politiker unser Land ganz toll finden. Die Caritas hilft mit drei Ordernschwestern und regelmäßigen Freiwilligen jungen Müttern, Obdachlosen, Rentnern und Kindern aus prekären Verhältnissen. Und bis Sommer hatte auch die evangelische Kirche zwei Pastoren vor Ort, zur Betreuung der verbliebenen Lutheraner vor Ort.
Studenten und Praktikanten gibt es in Nowosibirsk relativ wenige - die drei Sprachlektoren von Goethe und DAAD sind die einzigen stabilen Faktoren. „Echte Studenten“ verirren sich eher selten hier her, da die Studien- und Wohnheimsgebühren doch recht stattlich sind. Zudem passt der Frontalunterricht der russischen Dozenten selten zum Sprachniveau und zu den gewohnten Lernmethoden der deutschen Studenten - so dass ein Austausch meist eher auf menschlicher Ebene stattfindet, zumindest bei den männlichen Gästen.
Dann haben wir noch Hannes - der sich als radfahrender Frührentner vor einigen Jahren in Irina aus Novosibirsk verliebt hat. Nun radeln sie zu zweit durch Sibirien und Deutschland.
Bleiben noch die Deutschen in der Wirtschaft - derzeit fünf an der Zahl. Zwei Handelsvertreter, ein Berater, ein Ingenieur in der Ölindustrie sowie ein Verkehrsingenieur, der irgendwas mit IT macht.