Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)
Einschätzung nach der Wahl in Russland II - Nachtrag
Manch einer mag den Eindruck bekommen haben, dass ich mit meiner Mail am Montag zum Putin-Anhänger geworden bin. Dem ist ganz sicher nicht so.
Ich finde persönlich bin von der Wahl meiner Gastgeber nicht begeistert, ich selber hätte wohl eher für das neue Gesicht Prochorow gestimmt - auch wenn seine Partys 2007 in den Alpen ("Courchevel Prochorow" bei Google) einen sehr eigenartigen Beigeschmack haben. Ich wollte mit meiner Schilderung vor allem aufzeigen, dass ich die Wahl von Putin als die weitestgehend (!) ungefälschte Meinung der Russen empfinde.
An sich halte ich diese aber für fatal. Putin verkörpert eine Art von Stärke, die mir unsympathisch ist. Statt echter Innovation setzt er auf Aktionismus. Stärke zeigt er vor allem durch populistische Wortmeldungen oder wiederum wenig hilfreichen Aktionismus.
Wenn die Wälder brennen, steigt er selbst in den Hubschrauber und tut so, als würde er die Dörfer retten - anstatt endlich die wilde Folgen der Privatisierung der Waldwirtschaft zu klären. Wenn es um Innovation geht, trifft er sich mit Wissenschaftlern, hört vor laufenden Kameras wie ein braver Schuljunge zu und verkündet nachher einen schlauen Beschluss. Zur Förderung der heimischen Autowirtschaft fuhr er angeblich mit einem Lada quer durch das Land - in Wirklichkeit wurde er immer nur wenige Meter vor den Journalisten in die russischen Schachtel auf Rädern umgesetzt und die Staatslimousine wurde schnell aus dem Bild gebracht.
Wenn der Staatschef so offensichtlich auf Bilder anstatt echte Ergebnisse setzt, passt sich der restliche Apparat schnell an. Wichtig ist, dass es toll klingt und fein aussieht - nicht, dass es wirklich etwas bringt.
Ein gutes Beispiel ist der öffentliche Nahverkehr in Novosibirsk. Neben der U-Bahn hatte Novosibirsk ursprünglich gut funktionierende Straßenbahn-, O-Bus- und Buslinien.
Die Straßenbahn wird aus Geldmangel auf Verschleiß gefahren - inzwischen sind so viele Fahrzeuge defekt, dass einige Linien nur noch einen einzelnen Zug haben und so nur noch auf dem Papier existieren. Aber man will nicht untätig erscheinen, pünktlich zu jeder Wahl gibt es 1 bis 3 neue Wagen - bei einst über 400 Wagen natürlich reiner Aktionismus.
Bei den O-Bussen ein ähnliches Bild. Etliche Linien wurden erst immer seltener bedient, bis die Fahrgäste ausblieben und man sie mit diesem Grund einstellen konnte. Pünktlich zur Wahl wurde nun aber eine neue O-Bus-Linie eröffnet - sogar bis zur neuen Messe und zum Flughafen, wo es gar keine Oberleitung gibt. Ein Hybrid-Bus macht es möglich. Ein (!) Hybridbus. Die neue Linie fährt also ganze drei Mal am Tag - und die Fahrgäste kann man an einer Hand abzählen.
Für die städtischen Buslinien wurden vor einigen Jahren neue Busse angeschafft, dafür wurde extra ein Hotel im städtischen Besitz verkauft. Ein Jahr später wurden die Buslinien plötzlich in private Trägerschaft übergeben, weil dies rentabler wäre. Private Unternehmen mieten seitdem unter undurchsichtigen Bedingungen die Fahrzeuge und bedienen die Linien. Die vergünstigten staatlichen Monatskarten für Rentner galten damit nicht mehr und die anderen Fahrgäste mussten auch 16 statt 14 Rubel zahlen.
Natürlich fand sich irgendein Beamter, der daraufhin einheitliche Tarife festlegte - 14 Rubel für alle Busse. Die privaten Betreiber sagen seitdem, dass der Betrieb in den Abendstunden unrentabel sei und fahren nur noch bis 19 Uhr. Ich komme damit beispielsweise nicht mehr mit dem Bus nach Hause und muss die weiter entfernte U-Bahn nutzen.
Theoretisch gibt es natürlich Lizenzbedingungen, wo definiert ist, bis wann der Bus zu fahren hat - aber trotz Beschwerden passiert nichts. Ich habe im Oktober vier Beschwerden geschrieben - keine Reaktion. Im November gibt es dann aber plötzlich eine Pressemitteilung: "Zahl der Beschwerden im November gesunken!" - klar, wenn eh keiner reagiert. Warum nicht? Angeblich sind die Busbetreiber mit einflussreichen Beamten verbandelt.
Und damit wären wir bei der Korruption, welche Putin unter anderem bei den Parlamentswahlen im November auf die Füße gefallen war! Während diese im kleinen Maßstab zunehmend unter Kontrolle gebracht wird - Kameras in allen Polizeiautos sollen beispielsweise Bestechungen verhindern -, so wird im großen Maßstab noch immer gemogelt, was das Zeug hält. Jede zweite Katastrophe, ob nun Brände, explodierende Kraftwerke oder untergehende Dampfer, fördern solche Machenschaften zu Tage.
Aber wie dem auch sei, Putin sitzt fest im Sattel. Warum? Das habe ich am Montag versucht zu erläutern - es geht den Leuten dennoch zu gut und Russland steht weltweit zu gut da. Ein Machtwechsel würde dies vielleicht in Gefahr bringen - allein dieses "vielleicht" reicht, um für das Bewährte zu stimmen.
P.S.: Die zweite Frage zu meiner Mail am Montag wäre, warum die deutsche Presse so stark über an sich kleine "Massen"kundgebungen und kaum bewiesene Wahlfälschungen berichtet. Solche Schlagzeilen verkaufen sich wahrscheinlich besser an die Redaktionen in Berlin als eine sachliche Meldung: "Putin 6 Prozent schlechter als Medewedew 2008". Und spätestens wenn eine Redaktion die Revolution in Moskau meldet, müssen die anderen nachziehen.