Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)

Krise, Aufenthaltsgenehmigung, Führerschein

23. November 2008

Das wichtigste Wort in Russland ist im Moment natürlich "Krise". War Russland bis vor kurzem ein beliebtes Ziel für amerikanische Investoren, sind diese nach der Georgienkrise und dem Debakel auf den heimischen Finanzmärkten von heute auf morgen verschwunden. Die goldenen Monate beim Öl sind auch vorbei. Und mit einem Schlag fehlt hier das Geld.

Da die Banken kein Geld für Kredite und Hypotheken haben, standen zuerst die etlichen Baustellen still - einige Betongerippe mit 1 bis 24 Etagen werden Novosibirsk nun für einige Jahre zieren. Damit hatten auch die Stahlwerke nichts mehr zu tun. Und die Immobilienmakler. Deren Anzeigen fehlen nun wieder den Zeitungen. Und so weiter. Die ersten deutschen Firmen verlassen schon das Land. Einige Russen haben seit zwei Monaten keinen Lohn gesehen.

Der populärste Witz im Moment: "Unterhalten sich zwei Geschäftsführer: 'Zahlst Du Deinen Leuten noch Lohn?' 'Nein!' 'Und?' 'Sie kommen trotzdem!' 'Hmm, meine auch! Vielleicht sollten wir Eintritt verlangen?' Nach einer Woche treffen Sie sich wieder: 'Und?' 'Diese Halunken! Kommen Montag früh und bleiben bis Freitag abend, damit sie nur einmal Eintritt bezahlen müssen!'"

Ich selber erfreue mich weiterhin an der russischen Bürokratie. Dieses Jahr war dem Erwerb einer endgültigen Aufenthaltserlaubnis gewidmet. Die vorläufige hatte ich schon über ein Jahr und nun durfte ich die endgültige beantragen. Es war eine Freude, wie man der beigefügten Grafik entnehmen kann - diese zeigt die minimalen Wege für den Antrag und den Erhalt. Wohlgemerkt die minimalen, um diese herauszubekommen, waren natürlich noch einige sinnlose zusätzliche Wege notwendig. Aber dann wäre die Grafik endgültig unverständlich.

 

Nachdem ich nun die Aufenthaltserlaubnis hatte, musste ich auch einen russischen Führerschein machen. Dies hatte ich schon im Vorfeld mehrfach erfolglos versucht - aber man wollte mich immer zur Fahrschule schicken, obwohl ich ja einen gültigen ausländischen Führerschein hatte. Mit der Aufenthaltsgenehmigung durfte ich jedoch ohne Fahrschule direkt zur Theorieprüfung kommen.

Also nicht ganz direkt, vorher musste ich einen Drogentest machen, einen Augenarzt, einen Physiotherapeuten, einen Allgemeinarzt und einen Psychiater aufsuchen. Die psychiatrische Klinik erinnerte mich stark an das Irrenhaus bei "Asterix erobert Rom" - etliche Zimmer und etliche Leute, die von Zimmer zu Zimmer rennen, um Geld gegen Zettel und Stempel einzutauschen. Die psychologische Überprüfung bestand meiner Meinung nicht darin, die Fragen der Ärztin im fünften Zimmer zu beantworten, sondern überhaupt ohne bleibende Schäden das Haus zu verlassen.

Die Theorieprüfung selbst erfolgt - sehr erstaunlich - an hochmodernen PCs mit Touchscreen! Die Fragen sind genauso dämlich wie in Deutschland. Die Praxis musste ich zum Glück nicht machen, also durfte ich mich direkt beim Sachbearbeiter anstellen, dann zum Fotografieren anstellen - halt, Mittagspause, bitte das Haus verlassen und in einer Stunde neu anstellen - , dann an der Kasse anstellen, dann noch einmal kurz zum Sachbearbeiter. Nach nur sechs Stunden hatte ich dann auch die russische Plastikkarte. Wobei mein Name Russisch eingegeben wird und dann wieder zurückübersetzt wird. Deswegen lautet mein Familienname SHOTT - das C ist verloren gegangen.

Leider wurde ich kurz später beim Überholen im Überholverbot erwischt. Der Führerschein wird sofort eingezogen - für den Nachhauseweg erhält man ein vorläufiges Papier. Auffällig war, dass die Polizisten für mein Protokoll sehr lange brauchten. Alle anderen Sünder fuhren viel schneller weiter - meist jedoch auch ohne Protokoll ;-) .

Überholen im Überholverbot gilt als Straftat und landet im Gericht. Zum Glück - in meinem Fall wäre das Gericht 400 Kilometer entfernt - muss man nicht erscheinen, auch wenn einem das keiner sagen will. Nach über einem Monat habe ich nun den Gerichtsentscheid bekommen. "Bei der Festsetzung der administrativen Bestrafung berücksichtigt das Gericht den Charakter des ausgeführten administrativen Rechtsverstoßes, die Persönlichkeit des Schuldigen, seine Vermögenslage. Als Milderungsumstand bezüglich des administrativen Rechtsverstoßes werdet das Gericht das Schuldbekenntnis, die Schilderung." Wie schon bemerkt, war ich nie im Gericht! Und im Protokoll hatte ich im Pflichtfeld für Kommentare nur ein Wort ergänzt: "Einverstanden." Kurz und gut, ich bin mit der Mindeststrafe von vier Monaten Fahrverbot davon gekommen, eine Geldstrafe ist nicht vorgesehen.

Zum Glück habe ich ja noch den deutschen Führerschein.