Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)

Miliz

07. März 2004

Allen Mädels, Frauen, Damen des fortgeschrittenen Alters und Großmüttern alles Gute zum internationalen Frauentag! Morgen gibt man sich hier in Russland die Kante, zur Abwechslung nicht nur die Männer, sondern alle. Vorher werden noch Blümchen, Küsschen und Pralinen überreicht.

Die russische Miliz, das ist schon ein Erlebnis. Ich war nun inzwischen zum dritten Mal in Tomsk, wir duzen uns inzwischen, es gibt stets lecker Tee. Heute war ich allerdings wirklich verblüfft. Man konnte mir das Netzteil meines Mobiltelefons präsentieren, welches im geklauten Rucksack lag!

Man stelle sich das vor: da werden irgendeinem "reichen Deppen" im Zug Mantel und Rucksack geklaut und sofort setzen sich in diesem eigentlich vollkommen chaotischen Land alle Hebel in Bewegung. 

Man weiß inzwischen: Der Dieb kommt aus Kasachstan, wird dort wegen Diebstahl gesucht und wollte zu seinen Bekannten nach Russland flüchten. Als diese meine Sachen gesehen haben, haben sie ihn rausgeschmissen. Er hat daraufhin eine Nacht in einer Kirche geschlafen, ist dann nach Novosibirsk, dann in eine Stadt im Altai. Wenn er Tickets kauft, verwendet er drei verschiedene Ausweise. Aber wenn er wieder eines dieser Dokumente benutzt, sitzt er fest.

Wie gesagt, es geht um einen Rucksack und einen Mantel, geschätzter Schaden: 200 Euro. Mag sein, dass das ein Monatsgehalt für die suchenden Polizeibeamten ist - dennoch beeindruckt mich der Wille, meine Sachen zu finden. Man wusste einzig und allein die Namen aller Passagiere im wagen, und inzwischen kennt man jeden schritt des Kasachen!

Es scheint erklärtes ziel zu sein, die Aufklärungsstatistik dieser Polizeistation bei 100 Prozent zu halten. Angesichts des eindeutig identifizierten Netzteils (danke Thea, dass das Kabel kaputt war!) steht fest, wer es war ... insofern wird mir inzwischen bei der Täterbeschreibung geholfen. Ich meinte, der mir verdächtige Mann sah "etwa 30 Jahre alt" aus. Dummerweise ist er 18, also wurde meine Aussage stillschweigend in "nicht älter als 30 Jahre" umgemünzt. 

Bleibt abzuwarten, was von Mantel, Wörterbuch, Rucksack und Fotoapparat noch nicht verscherbelt ist, wenn man ihn schnappt.