Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)

Ostern

25. April 2006

Es kam mehrfach die Frage, wie und wann in Russland Ostern gefeiert wird. 

Zuerst die (für mich schlechte) Nachricht: es gibt keine arbeitsfreien Tage! Alle arbeiten ganz normal. Es gibt auch keine Ostereiersuche und keine Schokoladenhasen (wiederum tragisch für mich).

Ostern merkt man eigentlich daran, dass vier Tage lang im Supermarkt eigenartige Osterbrote herumstehen - das Gebäck schmeckt wie ein vertrockneter Rührkuchen mit Zuckerguss. Ferner gibt es für Ostereier eine art Abziehbildchen. Diese sind in Schlauchform - Ei in den Schlauch legen, mit kochendem Wasser übergießen und der Schlauch legt sich perfekt an das Ei an. fertig.

Gläubige Russen gehen in der Nacht von Sonnabend zu Sonntag zur Messe, die die ganze Nacht hindurch läuft. Von meinen Freunden war aber nur ein Einziger dort, und er auch nur aus purem Interesse. 

Nur wenige Russen halten sich an die Fastenzeit vor Ostern. Relativ verbreitet ist es jedoch, zwischen Kreuzigung und Wiederauferstehung aus Erfurcht vor Jesus keinen Alkohol zu trinken. (Zwei Tage ohne Alkohol schaffen auch die Russen.) Die Fastenzeit wird übrigens vom Masljeniza-Fest eingeleitet, während dem man noch einmal richtig fett isst - vorzugsweise Bliny (die russischen Crepes). Ferner wird der Winter in Form einer Vogelscheuche verbrannt.

Etwas eigenartig ist die Festlegung des Ostersonntags. Wie auch bei den westlichen Kirchen, ist Ostern am Wochenende nach dem ersten Vollmond im astronomischen Frühling (nach dem 21. März). 

Die russische Kirche folgt jedoch dem alten julianischen Kalender, der hier und da ein paar Schaltjahre vergessen hat. Derzeit sind es 13 Tage Unterschied zum gregorianischen Kalender. So kommt es vor, dass Ostern eine Mondphase später ist.

Dieses Jahr fielen beide Osterfeste in dieselbe Mondphase, dennoch wurde mit einer Woche Unterschied gefeiert. Denn die russische Kirche orientiert sich auch nicht am richtigen Mond sondern am metonischen Zyklus - berechnet im Jahre 432 vor unserer Zeitrechnung! Dieser hatte aber ebenso einen kleinen Fehler, der sich inzwischen zu einigen Tagen addiert hat. 

Somit wird das orthodoxe Osterfest doppelt falsch berechnet. Vielleicht kann mir ein Theologe erklären, warum der Gott gegebene Mond und die Gott gegebene Sonne für die orthodoxen Christen weniger zählen, als von Menschenhand erdachte Kalender aus Zeiten vor Christi Geburt?!