Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)
Russische Feiertage
Seit einigen Wochen sind auch in Russland die Feiertage vorbei. Rund um den Jahreswechsel darf man hier tagelang hemmungslos feiern, faulenzen, essen, na ja, und natürlich auch trinken.
Russland geht es jedoch gemächlich an. Während in Deutschland die ersten roten Schokoladenhohlkörper schon kurz nach Ostern die Supermarktregale bevölkern, bleibt man davon in Russland selbst im Dezember verschont. Prompt vermisst man als Deutscher natürlich das, was man zu Hause als Kommerz verpönt. Daher übt man sich als Kulturmittler und kocht alle Nase lang Glühwein für russische Gäste oder durchsucht die Supermärkte nach importierten Pfefferkuchen.
Auch den 24. Dezember verbringt man als Deutscher meist im Kreis anderer Europäer - denn die russische Kirche rechnet noch immer wie Kaiser Julian im alten Rom, und feiert Weihnachten dementsprechend am 7. Januar.
So lange wollen die russischen Kinder auf ihre Geschenke aber auch nicht warten, deswegen kommt der russische Дед мороз ("Väterchen Frost") schon zu Новый Год ("Neues Jahr"). Im Gegensatz zum deutschen Weihnachtsmann und amerikanischen Santa Claus hat Väterchen Frost übrigens einen frostig blauen Mantel. Und damit der alte Herr nicht alles alleine schleppen muss, hilft ihm seine Enkelin Снегурочка (ohne Übersetzung, in etwa "Schneeflöckchen"). In den letzten Jahren entwickelt die Enkelin auch eigene Geschäftsfelder: besonders bei Betriebsfeiern profiliert sie sich häufig durch besonders knappe Oberbekleidung.
Zum russischen Neujahr gehört auch eine Ёлка (Tanne) in jede Stube. Im Fernsehen läuft seit rund 30 Jahren derselbe Film, Putin hält seit Jahren leicht seine modifizierte Neujahrsansprache. Irgendwann im Laufe des Abends geht die ganze Familie zur städtischen Ёлка, wo meist auch ein tolles Ensemble aus Schnee- und Eisfiguren sowie Rutschen aufgebaut ist. Und dennoch heißt Neujahr nicht Ёлка-Fest, wie alle DDR-Russischlehrerinnen gern erzählten.
Weihnachten ("Рождество") hat eher für Kirchgänger eine Bedeutung - in allen Kirchen wird in der Nacht vom 6. auf den 7. Januar durchgebetet. Wer weniger gläubig und zugleich weiblichen ist, verbindet mit Weihnachten oft den Brauch, durch Wahrsagen (in verschiedenen Variationen) mehr über sein Schicksal im kommenden Jahr zu erfahren. Russische atheistische Männer genießen hingegen einfach einen weiteren Feiertag.
Davon gab es auch dieses Jahr wieder genügend: Die russischen Gesetze sehen vor, dass der 1. bis 5. sowie der 7. Januar Feiertage sind. Fallen Feiertage auf das Wochenende, werden sie verschoben. Insofern was vom 1. bis zum 8. Januar frei. Damit es sich lohnt, wurde der 31.12. (Montag) auch noch frei gegeben und stattdessen am 29.12. (Sonnabend) gearbeitet. Diesen Tag verbrachte der Großteil der Angestellten wohl mit dem Austausch von Lieblingszitaten aus oben erwähntem Neujahrsfilm.
Während die Supermärkte alle offen hatten, waren Banken und Behörden zehn Tage zu. So stauen sich jedes Jahr beim Zoll die Waren und die Supermärkte leeren sich entsprechend. Ausgleichend wirkt der Fakt, dass den Russen auch das Geld nach und nach ausgeht.
Am Ende der gesetzlichen Feiertage gehen alle mit Freude wieder auf Arbeit, auch wenn noch weitere Anlässe zum Feiern anstehen. Am 13. wird noch Старый Новый Год ("Altes Neues Jahr") gefeiert - Neujahr nach altem Kalender. Wer am 31. im Familienkreis verbracht hat, feiert nun mit seinen Freunden - und umgekehrt.
Die orthodoxe Kirche feiert am 19. Januar weiterhin "Крещение" - analog zu den Heiligen drei Königen der Katholiken am 6. Januar. Allerdings wird bei den Orthodoxen die Taufe Jesu gefeiert. Insofern ist Wasser an diesem Tag heilig. Vor den Kirchen bilden sich lange Schlangen von Großmüttern, die sich einen Jahresvorrat heiligen Wassers anlegen wollen. Empfohlen wird ferner ein Bad in einem Wasserlauf. Unpraktischerweise sind die meisten Flüsse und Seen Sibiriens zugefroren. Viele Kirchen sägen jedoch Badestellen in das Eis und veranstalten eine Prozession dorthin. Das Wasser wird geheiligt, dann geht der Priester baden und ihm folgt das Fußvolk.
Mit diesem Fest enden die russischen Neujahrsfeiertage. Wer noch nicht genug hat, feiert Anfang Februar das chinesische neue Jahr. Wie schon erwähnt, begeistern sich die Russen auch für die chinesischen Bräuche. Da vergangene Woche das chinesische Jahr der Ratte begann, sind unter den diesjährigen Schneefiguren in Novosibirsk auffallend viele riesige Nagetiere - die jedoch eher niedlichen Mäusen ähneln.
Ende März kann man natürlich auch noch das kasachische Neujahr feiern - ist ja gleich um die Ecke. Vorher kommt aber noch Масленица - die russische Variante der Faschingswoche. Diese orientiert sich jedoch ebenso am orthodoxen Kirchenkalender und findet daher erst Anfang März statt. Später mehr davon.
P.S.: Anbei Fotos vom Selbstversuch, die russischen Bräuche am 19. Januar nachzuvollziehen. Die Zelte auf dem letzten Foto sind übrigens die Umkleidekabinen - links von der Badestelle für die Frauen, rechts für die Männer. Es waren minus 22 Grad.