Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)
Schnee von gestern
Novosibirsk ist grau. So richtig kann sich der Frühling dann doch noch nicht entscheiden. Mal sind es plus zehn Grad, dann wieder minus. Gerade war der Matsch halbwegs getaut, fing es gestern wieder an zu schneien. Grün ist noch nirgends zu sehen. Die einzigen frischen Grashälmchen, die ich entdecken konnte, wuchsen über einer Heiztrasse.
Die größten Nachteile von diesem Wetter hat wohl Coca-Cola. Denn bekanntlich trinkt man amerikanisches Zuckerwasser am besten bei drei grad. Deswegen hat jeder deutsche Kiosk einen Kühlschrank. Und jeder russische eine Heizung, zumindest im Winter. Im Sommer gibt es natürlich Kühlschränke ... aber was nun? Im Moment stehen noch die Heizungen, aber sie sind abgeschlossen. Überall. Nirgends Coca-Cola.
Doch man hält zusammen. Beispielsweise hing letztens ein riesiger LKW im Glatteis fest. So entschloss sich unser Straßenbahnfahrer, ihn mit einem Stahltross bis zur nächsten Kreuzung zu ziehen. Mit viel Schwung hat das auch geklappt. Wir sind fast entgleist, das Wagengestell hat spürbar geknirscht und so gelitten, dass später nur noch zwei der drei Türen aufgingen. Die Rentnerinnen haben dem Bahnfahrer in einer Schimpforgie erklärt, dass dies eine Straßenbahn und kein Abschleppfahrzeug sei.
Ich sitze noch immer an unserem Buch über Verkehrsökologie. Es hat sich erwiesen, dass die Russen von Umweltschutz nicht die geringste Ahnung haben. Stillschweigend wurde so aus dem deutschen Original "Ziel ist die Steigerung der Fahrzeugauslastung" ein russische Übersetzung "Ziel ist die Steigerung der Lastfahrzeuge". Ein schönes ökologisches Ziel!
Noch einige schöne Zitate von den deutschen (!) Folien eines russischen Vortrags auf unserer Konferenz: "Expluatationsekocharakteristiken", "Luftüberflussköffizienten", "Dieselkurbelwall", "Kontrolloperativität", "Mit Hilfe der Dieselarbeitsparametern auf den Positionen des Fahrschalter wurden die Grundcharakteristiken des Dieselarbeitsprozess für den geometrische Winkel des Zuvorkommens der Brennstoffabgabe bestimmt."
Übrigens ist im russischen der "Daumen" der "große Finger", für den deutschen "kleinen Finger" gibt es hingegen ein vollkommen separates Wort. Und der Schwager existiert gleich in vier verschiedenen Varianten, je nachdem ob Bruder des Mannes, Bruder der Frau, Mann der Frau oder Mann der Schwester der Frau.
warum einfach, wenn es kompliziert geht ... das ist Russland.