Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)

Sibirische Großstädte

28. Januar 2004

Novosibirsk ist schon eine verrückte Stadt. und ich lebe hier. sehr erstaunlich. zur Erläuterung:

Novosibirsk befindet sich 3300 Kilometer von Moskau entfernt, weit hinter dem Ural und damit mitten in Asien. Der Zug fährt rund 50 stunden in die Hauptstadt. Novosibirsk wurde vor 110 Jahren gegründet, heute leben hier knapp zwei Millionen Menschen. Es gibt natürlich eine Metro. Leider hat man zu spät mit dem Bau begonnen, beziehungsweise kam die Perestrojka zu früh - bei Linie zwei reichte das Geld bislang für ganze drei Stationen. Zu meiner Wohnung führt Linie drei - in einigen Jahrzehnten.

Die Stadt ist sozialistisch schick. Wild in die Landschaft gestellte Betonklötzer, schief und ohne Putz. Dazwischen ist - je nach Jahreszeit - viel Platz für Schnee, Matsch oder Staub. Manchmal auch Beton und Asphalt. Gestern habe ich auf dem Leninplatz im Stadtzentrum 16 spuren gezählt. Das heißt, dass in der Realität 20 Autos nebeneinander passen!

Neben den Schilmassiwy (Wohnmassive) gibt es auch Tschastnyje Sektory (private Sektoren) - riesige Siedlungen mit alten russischen Märchenhäusern aus Holz. Dort holt man das Wasser teilweise noch aus der Pumpe an der nächsten Kreuzung. Das Klohäuschen steht im Garten, eine Zeitung nimmt bei minus 23 Grad aber keiner mit. 

Vor allem die Sektoren nahe dem Zentrum sind sehr beliebt. Ihr Ende ist absehbar, irgendwann wird dort eine Bank neumodische Glaspaläste errichten. Und dann muss der Staat - so sagt es das Gesetz - allen Vertriebenen eine Wohnung schenken. Demzufolge wohnen in jedem Holzhaus mindestens drei Generationen.

Glaspaläste. Ideal für Nobelboutiquen, Restaurants, Banken oder Casinos. Novosibirsk ist eine teure Stadt, Wohnraum und Nachtleben kosten doppelt so viel, wie in Omsk.

Omsk liegt 600 Kilometer westlicher und hat eine halbe Million weniger Einwohner. Bei der Metro war noch vor der ersten Station das Geld alle. Aber man hofft noch! Ansonsten gleicht eine Stadt der anderen.

Ich schreibe hier also meine Diplomarbeit. Über "Möglichkeiten zur umweltverträglichen Entwicklung des Verkehrs in russischen Millionenstädten, am Beispiel von Novosibirsk". Im Moment löst man hier einen Stau, in dem man die langsame Straßenbahn entfernt oder den grünen Mittelstreifen asphaltiert. (letzteres kennt man ja auch aus Dresden.) Es gibt also viel zu tun.