Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)

Vaterländische Verteidigung, Fahrstühle, Bürokratie

24. Februar 2005

I. Feiertage

Gestern war der "Tag der vaterländischen Verteidigung" - wieder einmal ein staatlicher Feiertag. Gleichzusetzen ist er mit dem sächsischen Männertag - nur dass man schon am Vortag mit dem Feiern beginnt. Alle firmen spendieren ihren männlichen Mitarbeitern ein mehr (Rasierer) oder weniger (Schlüsselanhänger) sinnvolles Geschenk, dazu gibt es Wodka und Kuchen. Die Backwaren kaufen im Normalfall die weiblichen Kollegen, den Wodka der Chef.

Ganz froh bin ich, dass der Feiertag in diesem Jahr umbenannt wurde - bislang 2003 hieß er "Tag der sowjetischen (!) Armee und Kriegsflotte". Unter dem neuen Titel konnte nun aber auch ich feiern und musste gestern nicht arbeiten. 

Das Pendant wird übrigens in zwei Wochen gefeiert - der "Internationale Frauentag". Dann bezahlen die männlichen Kollegen den Kuchen, der Chef Martini und mehr (Blumen) oder weniger (Schlüsselanhänger) schöne Geschenke.

II. Fahrstühle

Bei uns im Bürogebäude werden russische Wunder wahr! Man erinnere sich, dass im November am zweiten Lift, welcher nie funktioniert, ein Schild hing: "Ihr neuer Lift geht in 210 Tagen in Betrieb". Nun wird wirklich ein neuer Lift eingebaut! 

An einem Fahrstuhl in einem anderen Gebäude habe kürzlich ein schönes Schild entdeckt: "Betriebszeiten täglich 8:00 - 17:30, freitags 8:00 - 16:30, Mittagspause 12:00 - 14:00". Ein Lift mit Mittagspause!

Im Übrigen werden Ksenia und ich mittelfristig umziehen, in eine Wohnung im 13. Stock. Angesichts der Zuverlässigkeit russischer Fahrstühle freue ich mich auf mein neues Fitnessprogramm.

III. Bürokratie

Aufgrund meiner arbeit bekomme ich in letzter Zeit vollkommen neue Einblicke in die russische Bürokratie. mein Lieblingsthema sind Lohnzahlungen - ein kleiner Einblick:

  • Jeder bekommt natürlich Lohn. Fehlt man (Krankheit, Urlaub, Abwesenheit) wird der Lohn um die entsprechenden Tage gekürzt, gerechnet in ARBEITSTAGEN.
  • Wird man krank bekommt man Krankengeld - in Abhängigkeit von den ARBEITSJAHREN 60 bis 100 Prozent des durchschnittlichen Lohns der letzten ZWOELF Monate, gerechnet in ARBEITSTAGEN. 
  • Nimmt man Urlaub, bekommt man Urlaubsgeld - den durchschnittlichen Lohn der letzten DREI Monate, gerechnet in KALENDERTAGEN. 
  • Nimmt man seinen Urlaub nicht wahr, kann man ihn sich auszahlen lassen - die Arbeitstage werden in KALENDERTAGE umgerechnet und analog zu Urlaub entlohnt.
  • Durchschnittslohne werden nach Lohn und Urlaubsgeld berechnet.
  • Steuern werden nach Lohn, Urlaubsgeld und Auszahlungen berechnet.
  • Sozialleistungen werden nach Lohn berechnet. Je nach LEBENSJAHREN gibt es andere Prozentsätze. Übersteigt der Lohn des aktuellen JAHRES eine bestimmt Grenze, muss weniger gezahlt werden. Diese gesenkten Prozentsätze kennt jedoch nicht einmal das Finanzamt, da sowieso fast alle Firmen nominal nur den Mindestlohn zahlen (weit ab aller Grenzen), den Rest schwarz. Will man alle Löhne legal zahlen, muss man in Moskau anrufen - in Novosibirsk hat sich noch niemand mit den entsprechenden Regeln beschäftigt.
  • Die Regeln sind vielfältig und werden ständig geändert. Mein Favorit ist die "Verordnung 213 der Russischen Föderation - über Besonderheiten der Regeln zur Auszahlung des durchschnittlichen Arbeitslohns". Zehn Seiten, die sich ausschließlich mit dem Durchschnittslohn für Urlaubsgeld beschäftigen, denn wie schon erwähnt, gilt für Krankengeld eine andere Berechnungsmethode.


IV. Biathlon

Hat eigentlich irgendein Sportfanatiker in Deutschland bemerkt, dass in Novosibirsk letzte Woche die Europameisterschaft im Biathlon war?! Ich weise an dieser Stelle ganz dezent darauf hin, dass es vom Ural bis nach Novosibirsk rund 2000 Kilometer sind. Viele Grüße aus Asien!