Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)
Verspäteter Ostergruß
Die Zeit rennt davon.
Im Winter hatte ich eine Mail zum Thema Ostern versprochen, inzwischen haben wir schon Juli. Die Russen feiern zwar ein wenig später Ostern, aber natürlich nicht gleich soviel später. Die Orthodoxen begehen den Feiertag maximal fünf Wochen nach den Katholiken und Protestanten - bedingt durch den alten Kalender, dem die russische Kirche bis heute folgt. Was zählt, sind quasi nicht der reale Mond und die Sonne, sondern der Kalender des ollen römischen Kaisern Julius. Dieser hinkt 13 Tage hinter dem Kalender des Kollegen Gregor hinterher und so kann es sein, dass der erste Vollmond im Frühling vier Wochen später ist. Und da zu Julius' Zeiten auch der Mond irgendwie anderen Gesetzen folgte, werden es auch manchmal fünf Wochen.
Ostern erkennt man in Russland also nicht am Vollmond, sondern an putzigen Kuchen im Supermarkt. Tauchen diese plötzlich auf, ist Karfreitag. Gelinde gesagt ist das Preis-Leistungsverhältnis dieser Kuchen nicht besonders ausgewogen. Wahrscheinlich fehlt die Übung, denn während das täglich gebackene Brot lecker ist, fällt der seltener angebotene Osterkuchen unter die Kategorie ausgetrocknete Krümelware. Vielleicht soll das Gebäck ja auch den Leidensweg Jesu widerspiegeln?! Dagegen spricht wiederum der Zuckerguss, den ich mir stets als Belohnung nach den Qualen mit den Krümeln aufhebe.
In der Woche nach Ostern habe ich dieses Jahr eine Häufung an Fleisch-Eier-Salaten mit bläulichem Farbton festgestellt. Scheinbar wird in vielen Familien der Bedarf an bunten Eiern überschätzt. Um die Eierberge später abzubauen, gibt es dann etwas häufiger besagten Salat, stets mit dem vorsichtigen Hinweis: "Die Eier sind nicht schlecht, sind nur am Wochenende übrige geblieben."
Gläubige Christen gehen von Samstag auf Sonntag die ganze Nacht beten, wobei man es sich bis um eins noch anders überlegen kann - dann fährt die letzte U-Bahn, extra eine Stunde später als sonst.
Wie Ostern ist natürlich auch die Sommersonnenwende in Russland knapp zwei Wochen später - am 7. Juli begeht man "Iwan Kupala". Die Katholiken und Protestanten kennen diesen Iwan als Johannes, Johannes der Täufer. Zum Taufen braucht man Wasser - deswegen rennen an diesem Tag alle Kindern mit vollen Wassereimern durch die Stadt und kippen diese vorzugsweise über kreischende junge Mädels. Und weil den etwas älteren Kindern, insbesondere den jungen Männern, der Anblick eng anliegender, nasser Kleidung besonders gefällt, helfen sie mit. Dieses Jahr half auch der Regen mit - was den Spaß wiederum etwas eintrübte.
Nun endet leider die Jahreszeit der Feiertage in Russland. Im Januar ist bis zum 10. Neujahr und Weihnachten, im Februar der Tag der Vaterlandsverteidiger (Männertag), im März Frauentag, im Mai Tag der Arbeit sowie Tag des Sieges und im Juni Tag der Unabhängigkeit. Weil die ganzen letzten Jahre niemand wusste, von wem Russland jemals unabhängig wurde, hatte man den Tag dieses Jahr kurzerhand in Tag Russlands umbenannt. Nun kommt der nächste Feiertag erst wieder im November - dann wartet der Tag des Sieges über die Polen im 18. Jahrhundert. Diesen feiert man auf Anordnung Putins seit einigen Jahren anstatt des Tages der Großen sozialistischen Oktoberrevolution. Jene war, nebenbei bemerkt, im November - auch an dieser Ungereimtheit sind die mangelnden Rechenkünste des oben erwähnten Julius Schuld.
Ich muss also weiterarbeiten und beende diesen Beitrag!