Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)
Was ändert sich nie, was hat sich geändert und was ändert sich bei uns?
Es gibt viele Dinge, die sich in den letzten Jahren in Russland verändert haben. Es gibt aber auch Dinge, die sich wohl nie ändern werden.
Ich wollte jenes Auto, welches wir im Moment ab und zu nutzen, legal durch die technische Überprüfung bringen - aber wen ich auch fragte - niemand konnte mir sagen, wie das geht. "Ohne Bezahlen? Keine Ahnung, noch nie gemacht!"
Die Techosmotr - der russische TÜV - ist seit Ewigkeiten durch und durch korrupt. Daran haben auch x Reformen nichts geändert. Allenfalls wurde es etwas komplizierter, die Techosmotr zu kaufen. Als ein Nachweisfoto im Regelwerk vorgesehen wurde, war es plötzlich nicht mehr möglich, die Stempel ohne Vorzeigen des Autos zu bekommen. Dies bedeutete freilich nicht, dass die Fahrzeuge fortan geprüft wurden.
2011 gab es dann eine sehr verwunderliche Neuerung - Putin setzte die Techosmotr komplett für ein Jahr aus, um neue, korruptionsfreie Ideen zu entwickeln. Ergebnis war, dass man nun gegenüber dem Haftpflichtversicherer die Tauglichkeit des Autos nachweisen muss - keine Versicherung sollte daran interessiert sein, defekte Fahrzeuge zu versichern. Sollte.
Die Techosmotr findet wieder an den alten Stellen statt, man kann die Stempel noch immer kaufen. Die Versicherung haben natürlich auch keine Chance, die Wahrheit zu prüfen. Aber sie können nun mitverdienen, denn vor allem kleinere Gesellschaften bieten nun unter der Hand direkt die Vermittlung korrupter Autoprüfer an. Es ist damit zu einem stillen Werbefaktor geworden - wo bekommt man die Haftpflicht auch ohne Techosmotr.
Angeblich ist die nächste Reform schon in den Schubladen.
Ich habe aber - schon aus purem Interesse - brav das Auto ganz machen lassen, sogar die durch die sibirischen Winter unausweichlich gerisse Frontscheibe ausgetauscht. Bin brav zur Techosmotr und habe ganz legal die Bestätigung erhalten. Das Aufmöbeln des Autos war etwa 50 Mal so teuer wie der einfache Weg - aber immerhin kann ich nun allen russischen Freunden berichten, wie man in Russland legal die technische Überprüfung des Autos durchläuft.
Ansonsten bin ich schon erstaunt, wie sich Russland die letzten zehn Jahre verändert hat - ja, im Sommer sind es für mich nun schon zehn Jahre.
Das Land ist auf die Beine gekommen, zwar in der Krise kurz gestolpert, aber nun weiter auf dem Weg nach oben. Die Preise haben sich verdreifacht. Die sowjetischen Autos wichen zunächst japanischen Gebrauchtwagen, nun aber mehr und mehr noblen Pseudogeländewagen. Kannte ich anfangs noch alle netten Caf és und Restaurants von Novosibirsk von innen, bin ich inzwischen froh, wenigstens die Namen der Lokale einer Straßenecke zuordnen zu können. Auch die alternative Subkultur beschränkt sich nicht mehr auf zwei Clubs. Westliche kulturelle und gesellschaftliche Tendenzen haben Sibirien erreicht - vom lokalen Occupy-Camp bis hin zur Museumsnacht. Und selbst der Klimawandel erobert uns - dieses Jahr gab es so gut wie keinen Schnee.
Zeit auch für uns, einen kleinen Wandel einzuläuten. Nein, jetzt kündige ich keinen Umzug nach Deutschland an. Ab Juni begeben wir uns für ein Jahr in die Taiga - Elternzeit im sibirischen Dorf. Mit Jan und Arthur zusammen werden wir mal schauen, wie es sich mitten im Wald mit Bach vor der Tür, dafür ohne fließend Wasser und Zentralheizung so lebt. Als kleinen Ausblick stelle ich bei Facebook eine Fotosammlung aus diesem Dorf ein - für alle, die mal schauen wollen, wie es dort so ausschaut. (Wer kein Facebook mag, bekommt von mir gern einen Link zum Anschauen ohne eigenen Zugang zugeschickt.)
Und ab Juni wird es dann Berichte aus Tutujas geben, statt aus Novosibirsk.