Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)
Winterende in Sibirien, Sonnenfinsternis
Um die gestrige Sonnenfinsternis zu sehen, musste man nicht zwingend in die Türkei fliegen. Man konnte sie auch in Sibirien betrachten. In Novosibirsk war die sonne zu 92 Prozent bedeckt, im Altai (500 Kilometer südlich) vollständig. Anbei ein paar Fotos aus Novosibirsk. Da es mit meinem einfachen Apparat unmöglich war, direkt in die sonne zu fotografieren, sind natürlich nur ein paar Zufallsaufnahmen gelungen.
Was gibt es sonst neues in Sibirien?
Hier zieht nun auch der Frühling ein, nachdem wir von Mitte November bis Anfang März durchgängig Minusgrade hatten. Der Winter war bekanntlich richtig sibirisch - das Quecksilber sank bis auf minus 42 Grad. Der Schnee blieb also vier Monate liegen, immer wenn er von den Autoabgasen langsam grau wurde, schneite es eine neue Schicht Weiß. Leider ist nun Tauwetter, das Weiß taut weg, aber das grau addiert sich zu einer edlen schwarzen Schicht - die Folgen des intensiven Wirtschaftswachstums werden direkt sichtbar. Die zunehmende Motorisierung mit japanischen Gebrauchtwagen - ohne Kat - macht das Tauwetter zur dreckigsten Zeit des Jahres. Erst in drei Wochen, wenn das Grün sprießt, ist Besserung in Sicht.
Bis dahin flüchten wir also allwöchentlich aus der Stadt, besonders gern gen Süden, wo in den Ausläufern des Altais noch genug weißer Schnee zum Skifahren liegt. Dort kann man dann zu lustiger Musik die Hänge hinuntersausen: sibirisch-ski.avi (1,5 MB). Oder nachts bei der Disco eigenartigen Leuten zuschauen, wie sie sich mit Schnee bewerfen: sibirisch-disco.avi (1,3 MB).
Auch zu anderen Anlässen sieht man Russen, die eigenartige Dinge machen. Am 19.1. (nach altem julianischen Kalender 6.1.) feiert man hier Epiphanias. Im deutschen Sprachraum wird Epiphanias als Heilige Drei Könige gefeiert, hier feiert man die Taufe Jesu (auf Russisch Kreschtschenije). Jesu wurde im Jordan gebadet, also müssen auch gläubige Russen in irgendeinen halbwegs heiligen Fluss springen. In Novosibirsk gibt es rund zehn Kirchen, jedoch schätzen neun davon den Ob als unrein ein - womit sie sicher richtig liegen. Nur eine Kirche am Stausee südlich der Stadt sieht das anders. Nach dem Gottesdienst zieht eine große Ansammlung von Babuschkas zum See. Einige neureiche, die ihre Seele reinwaschen wollen, kommen in ihren großen Geländewagen angefahren. In das Eis des Sees ist schon ein Loch gehackt und daneben eine mobile Umkleidekabine aufgestellt. Das Eisloch wird geweiht, und dann springt ein Väterchen der Kirchegemeinde rein - vorher Kreuzigen nicht vergessen. Es folgen die Neureichen und die Babuschkas. Drum herum stehen etwa 250 Leute und singen (Babuschkas) oder schütteln den Kopf (Journalisten und ich). Mit der Zeit sinkt das Eis rund um die Badestelle etwa 10 Zentimeter ab, denn 250 Leute wiegen rund 20 Tonnen. Alle bekommen nasse Füße und bestätigen dennoch, dass das Eis noch nie eingebrochen ist.
Ich selbst habe das baden im Eisloch nur direkt nach der Sauna ausprobiert. Im Grunde fand ich die Vorstellung schlimmer, als es an sich ist. Im Schnee wälzen ist jedenfalls unangenehmer - logisch, denn Schnee ist kälter, als Wasser. Außerdem tropft Wasser schnell ab, Schnee jedoch nicht.
Nun kommt aber, wie schon gesagt, der Frühling. die Russen züchten schon die Tomaten auf dem Fensterbrett - in wenigen Wochen beginnt die Datschensaison. Vorher wird noch aufgeräumt, denn die Maifeiertage nahen ebenso.