Briefe an Freunde, Tutujas (Norbert Schott)

Kleine Welt an große Welt

25. Oktober 2012

Unsere Welt ist nun recht übersichtlich geworden. Am Sonntag ist das letzte Mal die Fähre über den Fluss gefahren. Wir sind nun bis Ende Dezember ohne Straßenanschluss. Also die Straße gibt es noch - 10 Kilometer bis zum Fluss können wir fahren.

Dort kann man im Moment auch noch mit abenteuerlichen Holzkähnen übersetzen - aber darauf sollte man maximal für dringend benötigte Produkte wie Nuss-Nougatcreme zurückgreifen. Ansonsten lebt man von den Vorräten. 20 Kilogramm Mehl für Brot, 15 Dosen Fleisch, ein volles Gefrierfach, drei Säcke Kartoffeln, endlos Nudeln, Reis und sonstige kochbare Dinge.

Am Montag gab es natürlich prompt einen richtig ordentlichen Sturm. Gewächshäuser flogen durch die Luft, bei uns hat es mehrere große Metallbleche durch den Garten gewirbelt. Nach etwa einer Stunde ist der erste Baum auf die Überlandleitung gefallen, die das Dorf mit Strom versorgt.

Unsere Bedenken, dass wir nun das Benzin für den sicherheitshalber vorhandenen Generator bis Ende Dezember strecken müssen und am Ende Familienstreit ausbricht, ob Licht, Trickfilme, E-Mails oder Mobiltelefon Aufladen wichtiger sind, erwiesen sich als unbegründet. Bereits Dienstagmittag war das Licht wieder da. Den umgekippten Strommast im Dorf haben die Einwohner selbst wieder hingestellt, für die abgerissenen Kabel im Wald wurde Ersatz mit den erwähnten Nuss-Nougat-Creme-Lieferbooten über den Fluss gebracht. Die Logistik auf dieser Seite des Flusses haben ebenso die Dorfbewohner übernommen.

Die Zahl dieser ist jetzt natürlich recht überschaubar. Rund um uns sind fünf Häuser ständig bewohnt - damit gehören wir zu einer der lebhaften Ecken. Durch unsere Anwesenheit wird das Durchschnittsalter der Nachbarschaft deutlich reduziert - alle anderen sind durchweg Rentner, bis ins hohe Alter von 84 Jahren.

Heute morgen hatten wir auch den ersten Schnee - reichlich spät für dieses Jahr. Bislang war es immer klar und kalt oder bewölkt und warm. Nun werden die Tage aber so kurz, dass Wolken und Kälte sich nicht mehr ausschließen. Ab November wird der Schnee dann sicher auch ständig liegenbleiben. Wenn der Winter genauso winterlich wird, wie der Sommer sommerlich war - dann steht uns eine wirklich spannende zweite Hälfte unseres "Jahres im sibirischen Dorf" bevor.